Jetzt haben wir den Salat

28. August 2019

Neulich gab ich den Begriff «clean eating» bei Google ein. 331 Millionen Ergebnisse spuckte mein Browser aus. Bei «keto» 127 Millionen, knapp 100 Millionen bei «paleo»… Absoluter Spitzenreiter ist «vegan» mit über einer Milliarde…

Gesund Essen ist Trend. Auf Instagram propagieren junge, schlanke, gutaussehende und glückliche, vornehmlich blonde weibliche Zeitgenossen ihren Lebensstil. Alles Negative scheint sich mit der «richtigen» Ernährung zu lösen. Pickel verschwinden, Cellulite sowieso. Im Gegenzug ist man 24h gut drauf, hat Vitalität, Freude und Freunde ohne Ende und einen Mann, der uns nie verlassen würde. Tausende männliche und weibliche Follower geben ihnen Recht, informieren sich täglich mehrmals über «gesunde Ernährung», ziehen ihre Schlüsse aus wissenschaftlich nicht belegten Thesen, werden Teil einer Community, die sektenähnlichen Charakter hat. In Foren, Podcasts, geheimen Gruppen werden Erfahrungen, Rezepte und Erfolge ausgetauscht, bejubelt und kommentiert. Willkommen im Zeitalter des Religionsersatzes.

Schliesst man Posts von Promis aus, erreicht man heute die meisten Menschen mit Posts über Food und auch hier wieder als Spitzenreiter «vegan». Die Gemeinsamkeiten all dieser neuen Food-Trends sind Dogmatismus, Verzicht und antrainiertes Überhören der körperlichen Signale. Du bist, was Du nicht isst…

Fachleute haben einen Begriff für diesen «gesunden» Lebensstil: Orthorexie. Das ist die übertriebene Beschäftigung mit Ernährung und das zwanghafte Vermeiden ungesunder Lebensmittel. In der Schweiz gibt ein Drittel der Bevölkerung an, sich übermässig mit gesunder Ernährung zu beschäftigen. Die Folge von zwanghaftem Verhalten sind Störungen, die letztendlich in einer therapeutischen Umgebung behandelt werden müssen.

Paracelsus meinte „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei.“

Ich glaube, dass dieser Satz heute mehr denn je Gültigkeit hat. Alles und auf alle Lebensbereiche bezogene übertriebene Verhalten endet früher oder später in einer Sackgasse. Dies bezieht sich nicht nur auf unsere Essgewohnheiten, sondern allem, was uns im Alltag widerfährt. Wer zu viel arbeitet, ist irgendwann mal ausgelaugt. Wer zu viel Sport treibt obwohl alles schmerzt, belastet seine Gelenke. Wer es allen recht machen will und nie „nein“ sagen kann, fühlt sich unverstanden und alleine.

Eine ausgewogene Ernährung in der alles erlaubt ist als Basis, ein vernünftiges Mass an Bewegung, genügend Schlaf und Entspannung, Zeit mit sich und seinen Liebsten verbringen, seinen Emotionen den Raum lassen, den sie brauchen und Dinge für sich zu entdecken, die Kraft geben und den Anspruch zu haben, glücklich zu sein bezeichne ich als Formel für ein entspanntes Leben.

In diesem Sinne lass ich es mir jetzt gut gehen, betrachte das Bergpanorama und geniesse meinen Kuchen!

Herzlichst,
Eure Alexandra

© 2024 – Alexandra Weber

Mitglied Berufsverband epb-schweiz